Mittwoch, 24. April 2013

BUKAREST - UMGEBEN VON RUINEN

Das architektonische Erbe der rumänischen Haupstadt steht leer und zerfällt. Privatpersonen versuchen, die Gebäude als kulturelle Räume bespielt, zu erhalten – wenn auch nur auf Zeit.

Kabel, hunderte Kabel, schwarz und bunt und allerlei eigenartiges technisches Gerät. Das hätten sie im Haus gefunden, erzählt Ella Szekely lachend. Sie sitzt in ihrem Café Dianei 4, in einer Villa der Jahrhundertwende, im Zentrum Bukarests, gleich hinter der Universität. In einer ruhigen Seitengasse, die den Lärm des parallel verlaufenden sechsspurigen Boulevards verschluckt. Durch die mannshohen Fenster fällt Licht auf den alten Holzofen in der Ecke, der wenige Minuten zuvor mit neuen Scheiten gefüllt worden ist und zögernd Wärme abgibt. Nur eine Handvoll Gäste hat sich an diesem frühen Nachmittag eingefunden. Am hinteren Tisch verstecken sich zwei modisch gekleidete Studenten hinter ihren grauen Aluminiumgeräten und besprechen ein Fotografie-Projekt. Noch hängt die Atmosphäre der vergangenen Nacht in der Luft – kalter Zigarettenrauch und Biergeruch mischen sich mit dem Aromen des frisch gekochten Kaffees. Das Dianei 4, so friedlich es sich an diesem frühen Nachmittag geben mag, ist das verlängerte Wohnzimmer und der Partykeller der jungen intellektuellen Hautevolee der Stadt. Sperrfristen kennt auch die Bukarester Variante dieses Typus nicht.

Mihai Stoica

Vor der Revolution 1989, die nicht nur mit dem sozialistischen System sondern gleichzeitig auch mit Machthaber Nicolae Ceausescu und dessen Frau Elena Schluss machte, beherbergte die kleine Villa eine Abteilung des allmächtigen Geheimdienstes Securitate, was die vielen Kabel erklärt. Die eigentliche Geschichte des Gebäudes ist aber früher zu suchen. Das zweistöckige Jugendstilhäuschen mit dem eleganten Stiegenaufgang, leicht zurückversetzt in der Diana-Straße, wurde kurz nach dem zweiten Weltkrieg und der Machtübernahme der kommunistischen Partei enteignet. „Nationalisiert“, wie es damals euphemistisch hieß. Ein Schicksal, das tausenden von Gebäuden widerfuhr – und dessen Folgen die Erscheinung Bukarests und anderer rumänischer Städte bis heute prägen. Denn die Restitution des enteigneten Besitzes kommt im mittlerweile seit mehr als 20 Jahren demokratischen Rumänien nur schleppend voran. Mehrere Anläufe verschiedener Regierungen haben das Problem nur unbefriedigend gelöst. Gegenwärtig werkelt das aktuelle Kabinett von Regierungschef Victor Ponta an einem neuen Gesetzesentwurf. Ausgelöst wurden diese Bestrebungen durch Druck des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Die hunderten Klagen rumänischer Geschädigter, die sich von der rumänischen Politik genarrt fühlten, hatten die Arbeit des EGMR fast zum Erliegen gebracht. Jahrelange Rechtsstreitigkeiten mit dem rumänischen Staat waren dem Gang zum EGMR vorangegangen, der den zermürbten Geschädigten oder deren Erben als letzte Anlaufstelle blieb.
 
Die Spuren des Sozialismus
Der rechtliche Hickhack fordert unterdessen an den Gebäuden seinen Tribut. Niemand investiert, solange die Eigentumsverhältnisse nicht geregelt sind, die früheren Besitzer nicht und die Regierung erst recht nicht. Zumal den früheren Besitzern, zumindest sofern es sich um Privatpersonen handelt, das Geld dafür ohnehin meist fehlt. Seit Jahren stehen so Häuser, Villen und andere Immobilien leer. Ungenutzt sind sie dem Verfall preisgegeben. Die Zeit nagt mühelos an der Bausubstanz, die im 40 Jahre währenden sozialistischen System kaum in Stand gehalten worden war. So wird manch eine schmucke Villa, bei der Enteignung der gepflegte Sitz einer bürgerlichen Familie, selbst im Falle eines positiven Bescheides als halbe Ruine restituiert. Solcherart Beispiele finden sich in Bukarest überall, auch im Zentrum der Stadt oder in den Wohngebieten der ehemaligen Oberschicht.

Mihai Stoica

So geschehen auch beim Gebäude mit der Adresse Karl-Boulevard 53 (Bulevard Carol 53). Vom einstigen Glanz war nichts übrig geblieben, als eine Gruppe junger Architekten vor knapp einem Jahr auf die Villa aufmerksam wurde. Das ehemalige Pförtnerhaus war von Hunden bewohnt, die Fenster teilweise herausgerissen, durch das Dach fiel der Regen auf das alte Parkett. Für die Pläne der Truppe aber schien das Gebäude äußerst passend zu sein: „Wir hatten so viele Ideen im Kopf, aber keinen Raum, um sie umzusetzen“, erzählt Lucian Sandu-Milea im Gespräch. Um den kleinen und ständig besetzten Ateliers der Architekturfakultät zu entkommen, hatte er mit drei weiteren Studenten zuvor beschlossen, sich nach einem leerstehendes Haus umzusehen. Die Suche fand bei der genannten Adresse ihr Ende – zumindest vorläufig. „Es war dann aber ein Abenteuer, den Besitzer ausfindig zu machen“, kommentiert Lucian. In Paris wurde der Besitzer schlussendlich geortet, nach langen Diskussion konnten sich die jungen Männer mit ihm einigen. So darf die Gruppe das Gebäude vorerst nutzen. Im Gegenzug dazu haben sich die Architekten dazu verpflichtet, am Haus zu arbeiten und den Verfallsprozess aufzuhalten. Heute ist es unter dem Namen Carol 53 als rege bespielter Veranstaltungsort in den Nischen der kulturellen Landschaft Bukarests verankert. „Wir wollen eine Plattform für Kunst und Kultur schaffen, die für jeden offen steht“, sagt Lucian, der inzwischen selbst im Obergeschoss des Hauses wohnt. Einen Stock weiter unten wirbt ein Plakat vor der Bibliothek für eine Theateraufführung, daneben werden Reiki-Stunden angeboten, in der großen Gemeinschaftsküche diskutieren die Initiatoren mit Gästen über kommende Projekte.
 
Ähnliches hatte auch Ella im Sinn, als sie 2009 nach Jahren in den USA gemeinsam mit ihrer kleinen Familie nach Rumänien zurückkehrte. „Mein Lebensgefährte Vlad Plaiasu und ich wollten im Kulturbereich etwas Eigenständiges aufziehen, jenseits der rumänischen Angestelltenverhältnisse, welche die Arbeitnehmer bis zum Maximum beanspruchen“, sagt sie. Nach einem Zwischenstopp in der siebenbürgischen Stadt Cluj entschieden sie sich, ihr Vorhaben - ein Kulturraum für Debatten, Konzerte und Filmvorführungen, der sich durch einen Café- und Barbetrieb selbst finanziert - in der rumänischen Hauptstadt zu realisieren. Zuletzt sprang noch ein Freund auf das Projekt auf. „Vom kulturellen Angebot lässt sich Bukarest durchaus mit Chicago vergleichen“, meint Vlad. In dieses kulturelle Leben wollten sich die drei Partner mit ihrem Projektraum einklinken. Eine entsprechende Immobilie wurde mit Hilfe einer Immobilienagentur in dem verlassenen Haus in der Diana-Straße ausgemacht. Sieben Jahre lang hatte der ehemalige Besitzer um die Restitution gekämpft und das Haus schließlich an einen Immobilienentwickler verkauft.

Seit Juni 2012 hat das Dianei 4, das sich am frühen Nachmittag so friedliebend gibt, nun geöffnet – allerdings mit Ablaufdatum. „Wir haben einen Mietvertrag über drei Jahre, aber der heutige Besitzer kann uns jederzeit kündigen“, so Ella. Schließlich hatte dieser das Gebäude plus Grundstück aus rein wirtschaftlichen Interessen gekauft. Ein Büroblock wird deshalb irgendwann anstelle des Jugenstilhäuschens errichtet werden. Gegenwärtig ist der rumänische Immobiliensektor für solche Projekte jedoch zu schwach, die mageren wirtschaftlichen Aussichten verhindern seit Ausbruch der Wirtschaftskrise große Wagnisse auf dem Häusermarkt. Diese Unannehmlichkeit für den heutigen Besit-
zer ist der Segen für die Betreiber von Dianei 4. „Die Wirtschaftskrise sichert uns Zeit“, sagt Ella, die trotzdem optimistisch bleibt: So sei ihr Projekt nicht zwingend an das Gebäude in der Diana-Straße gebunden. „Wenn der Tag kommt, nehmen wir unsere Gäste und ziehen um“, sagt die Betreiberin. Die Wirtschaftskrise und die niedrige Renditen im Immobiliensektor ermöglichen laut Lucian unterdessen auch das Projekt Carol 53: „Im Moment kommt einfach kein Investor, der die Häuser niederreißt und Bürotürme darauf erbaut“, sagt der Architekt.

Brandstiftung als Ausweg
Für die historische Bausubstanz Bukarests bedeutet dieser Umstand indes nur eine Gnadenfrist. Das zeigt auch das Beispiel einiger Eigentümer, die ihre Liegenschaften offenbar schon auf einen möglicherweise wiedereinsetzenden Bauboom vorbereiten - und sich der alten Gemäuer zu entledigen versuchen. Wie die Nachrichtenagentur Hotnews im Oktober des vergangenen Jahres berichtete, sind im Jahr 2011 alleine in Bukarest 37 Gebäude, die unter Denkmalschutz standen, abgebrannt. Bei einigen liegt der Verdacht der Brandstiftung nahe, wie der damalige Kulturminister Puiu Hasotti zugab. Derartige Vorgänge sind unterdessen nicht nur bei Privatbesitzern zu erkennen. Erst kürzlich ließ der Bukarester Bürgermeister Sorin Oprescu illegal die ebenfalls denkmalgeschützte Matache-Markthalle abreißen – mitten in der Nacht.

Mihai Stoica

Ob mit Denkmalschutz oder ohne, ob niedergebrannt, abgerissen oder dem Verfall preisgegeben: Das architektonische Erbe Bukarests, einst „Kleines Paris“ genannt, wird langsam zerstört. Die Gründe sind vielschichtig. Neben die Ignoranz und das fehlende Geld auf der einen Seite, stellt sich die Aussicht auf Profit auf die andere. Das Resultat ist einerlei und in der Bukarester Innenstadt und außerhalb zu besichtigen. Für Lucian hat der Prozess derweil schon vor Jahrzehnten begonnen: „Durch die Enteignung Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre haben die Häuser auch ihre Menschen verloren“, sagt er - und damit die Garanten für einen verantwortungsvollen Umgang mit der baulichen Substanz. „Ob mit den Gebäuden auch die Erinnerungen derjenigen ins sich zusammenfallen, die sie einst bewohnt haben?“ postet eine rumänische Facebook-Nutzerin unter das Foto einer Villa in
erbärmlichen Zustand.
 
Es ist eine Frage, auf die in vielen Fällen keine Antwort mehr gegeben werden kann.


erschienen auf http://fm4.orf.at/
 
Die Gastautorin Eva Konzett, 1984 in Österreich geboren, ist seit 2008 als freie Journalistin in Wien und Osteuropa tätig.
Homepage Eva Konzett

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