Mittwoch, 26. September 2012

CUMBIA DIGITAL

Krisenbewältigung mit Tanz und Musik. Ein Ausflug in das improvisierte Nachtleben der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.

Krisen gehören für die Argentinier zum Alltag. Die Geschichte ihres Landes ist zumindest geprägt von Krisen, Diktaturen und Protestbewegungen. Die letzte große Krise erfasste das Land im Jahr 2001 mit der sogenannten “Tangokrise“ und stürzte es in eine Katastrophe und die Menschen in die Armut. Zwar hat sich die Wirtschaft wieder erholt, das Land boomte anschließend sogar regelrecht – doch wer die aktuelle Inflation und Politik beobachtet – kann erahnen das es nicht mehr lange dauern wird bis zum nächsten Crash. Doch die Not macht ja bekanntlich erfinderisch und Argentinien wäre nicht Argentinien, würde man keine kreativen Auswege für diese Desaster finden. Der Geist der Improvisation manifestiert sich in der krisenerprobten Nation in vielen Bereichen des Alltags, vor allem in der Kultur- und Musikszene. Künstler und Jugend haben sowieso nie “Plata“ in der Tasche – dafür aber Ideen im Kopf. Und diese werden in der Hauptstadt Buenos Aires auf ganz vielseitige Art und Weise sichtbar – eben auch in der besonders ausgeprägten Feierkultur. Natürlich gibt es da noch immer die vielen Töchter und Söhne aus gutem Hause, die sich weiterhin die horrenden Preise für die schicken Clubs im Stadtteil Palermo leisten können, doch abseits davon entwickeln sich seit ein paar Jahren interessante Alternativen zum Mainstream.
Ausschlaggebend für diese Entwicklung war neben der finanziellen Not, vor allem ein Großbrand in einer Discothek im Jahr 2004, bei dem 180 Besucher in den Rauchschwaden des Partytempels ihr Leben ließen. Als Reaktion auf dieses traurige Ereignis verschärfte die Stadtregierung die Regulierungen für Tanzlokale und Clubs. Dies bedeutete das Aus für viele Einrichtungen - über 200 Lokalitäten wurden von heute auf morgen geschlossen. Doch die feierlaunigen Porteños zeigten sich erfinderisch und zogen zum weiterfeiern, ausgestattet mit dem guten alten Ghettoblaster auf die Straßen und Plätze der Stadt. Um die Freiluftveranstaltungen in Bewegung zu bringen, kreierten die DJ´s  einen Beat der die Leute in den Straßen zum mittanzen animierte. Das Resultat ihrer Experimente war die “Cumbia Digital“ – einem Mix aus Cumbia, Hip Hop, Reggaeton und elektronischer Musik. Der 4/4 Takt des Cumbia- Grundrhytmus, welcher von Macras und anderen Percussioninstrumenten begleitet wird, bildet dabei den Grundbeat. Ursprünglich stammt die Cumbia aus der kolumbianischen Volksmusik, welche von Sklaven aus Afrika entwickelt wurde, breitete sich dann aber in ganz Lateinamerika aus und hat in Argentinien als “Cumbia Villera“ äußerste Popularität erlangt. Diese Ghetto-Version der sonst oft melodramatisch-romantischen Musik hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zur typischen Musik der Vororte von Buenos Aires gewandelt. In der Hauptsstadt selbst war sie lange Zeit als zu sexistisch, zu eintönig und zu machistisch verrufen. Doch durch die Reaktion auf ihre Partykrise haben die Argentinier also nicht nur eine neue Form von Festivität im öffentlichen Raum geschaffen, sondern gleichzeitig eine neue Musikrichtung hervorgebracht.

Die Straßenhappenings sind mittlerweile zur Normalität geworden und bilden nicht nur eine Alternative zu teuren Musikclubs und Kommerz sondern bespielen den öffentlichen Raum mit bunter lateinamerikanischen Originalität und Vielfältigkeit. Da der Argentinier an sich kein Problem mit Lärm zu haben scheint, gibt es nur selten Beschwerden, und wenn doch einmal die Polizei anrückt, zieht die Meute fröhlich weiter und macht sich an einem anderen Ort wieder breit. Das eigentlich Interessante an dem Auszug der Feiernden auf die Straßen ist die Auflösung des “gebauten Raumes“ - hin zu einer anderen Erfahrung von Raum und vor allem einer neuen Form von Teilhabe. Waren die Partys zuvor durch Eintrittspreise und Türsteher nur einem gewissen Klientel zugänglich, sind die Straßenfeste offen für alle. Vielmehr noch, überdauern sie die Nacht nur durch die Partizipation vieler feierwilliger Menschen. Durch ihre “Feierpraktik“ generiert der argentinische Nachwuchs ganz unbewusst die Selbstaktivierung der Stadtbewohner. In Zeiten der postmodernen Stadtentwicklung können wir diesen Partystil also auch als eine Art Handlungsanleitung für moderne Stadtplanung lesen, die uns dazu auffordert selber zu handeln, um unser Umfeld und unsere Gesellschaft mit zu gestalten.

Ob einem die “Cumbia Digital“ nun gefallen mag oder nicht - diese “Feierkultur“ steht aus meiner Sicht beispielhaft als eine der vielen Formen von kreativem Output, die sich in Buenos Aires aufspüren lassen. Der einzigartige kulturelle Mix, die Geschichte des Landes und die Leidenschaft und Hingabe der Argentinier machen Buenos Aires zu einem so inspirierendem Ort. Es sind nicht unbedingt die prächtigen Gebäude und breiten Avenidas, sondern viel mehr der improvisierte Charakter dieser Stadt und seiner Bewohner der Buenos Aires seinen ganz persönlichen Charme verleiht. Nichts funktioniert so richtig, und doch trotzdem, alles funktioniert irgendwie und erzeugt dabei ganz unbewusst noch überraschende Nebeneffekte.

Die “Digital Cumbia“ schwappt mittlerweile übrigens auch nach Europa über, einige der bekanntesten DJ´s wie beispielsweise des ZZK Label aus Buenos Aires sind mittlerweile bei uns in diversen Clubs und auf Festivals zu Gast.


Gastautorin Kathrin Dröppelmann studiert Urban Design an der HafenCity Universität Hamburg. Im Moment lebt sie in Buenos Aires und geht dort einem Forschungsprojekt nach.

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