Montag, 06. Januar 2014

KLUB KATARAKT - FESTIVAL FÜR EXPERIMENTELLE MUSIK

15. bis 18. Januar 2014
Wandelkonzerte, lange Aufführungsdauern, raumbezogene Klang- und Videokunst auf Kampnagel in Hamburg –

"Intro, Strophe, Refrain, Outro. Muss Musik immer so strukturiert sein, wie es uns der Pop suggeriert?", diese Frage stellt sich nicht nur die byte.fm Journalistin Vanessa Wohlrat regelmäßig in ihrer Sendung Hertzflimmern. Vom 15. bis 18. Januar erforscht auch klub katarakt, das Hamburger Festival für experimentelle Musik, wieder neue Dimensionen der musikalischen Wahrnehmung auf Kampnagel in Hamburg. Generell hat sich klub katarakt in den letzten Jahren auch zu einem Forum für audiovisuelle Künstler entwickelt und mit den Künstlerischen Leitern Jan Feddersen und Robert Engelbrecht die Szenen der Neuen, experimentellen und elektronischen Musik mit Videokunst und Rauminstallationen verwoben. Hier im Interview erzählen Sie, was das Publikum dieses Jahr erwartet.



Fragen an die Künstlerischen Leiter von klub katarakt:

Frage:
Nicht nur experimentelle Musik, sondern auch Video- und Raumkunst wird bei klub katarakt groß geschrieben. Künstler, wie Makino Takashi aus Tokyo oder ein kuratiertes Kurzfilm Programm von Giuseppe Gagliano wird Cineasten-Herzen höher schlagen lassen. Was erwartet ihr Euch von den Bildern, die über die Lein- und Raumwände flimmern werden und wie habt ihr Eure Auswahl getroffen?


Jan Feddersen (JF):
Wir zeigen bei klub katarakt grundsätzlich nur experimentelle Filme. Die Zusammenarbeit mit Giuseppe Gagliano von der KurzFilmAgentur Hamburg geht mittlerweile ins 7. Jahr. Wichtig ist uns, dass es eine Gleichberechtigung zwischen Sound und Bildern bei den ausgewählten Beiträgen gibt. Makino Takashi ist da ein perfektes Beispiel. Makino kommt vom Filmen her, hat seit Jahren mit oft langen (30 min) Formaten experimentiert. Dann hat er Mitte der 00er Jahre angefangen mit Musikern wie Jim O’Rourke zusammenzuarbeiten und hat daraus eine eigene musikalische Sprache entwickelt. Der eine Film, den wir zeigen „2012“ ist das ganze Jahr 2012 über entstanden, denn Makino hat bei jeder Live-Performance zu den bereits vorhandenen zusätzliche Ebenen live darüber gespielt. Und das das ganze Jahr 2012 über, bis er diese Kino-Version, die wir hier zeigen, festgelegt / fixiert hat. Bei seinem neueren Projekt [space noise] ist dieser Prozess noch im Gange, so dass wir ihn dabei auch live hören werden. Generell hat sich klub katarakt in den letzten Jahren auch zu einem Forum für audiovisuelle Künstler entwickelt, was zum Einen mit den Möglichkeiten, die uns Kampnagel bietet, zu tun hat, zum Anderen aber auch mit unserer Vorliebe nicht nur für diese Art von Kunst, sondern auch für Musik, die sich mit dem Raum befasst und damit spielt. Dazu passen Filme mit ähnlichem Ansatz sehr gut.



Frage:
Der klub katarakt Act La Monte Young zählt neben Philip Glass, Steve Reich und Terry Riley zu den einflussreichsten Vertretern der Minimal Music in den Vereinigten Staaten. Was findet ihr ganz persönlich an dieser Künstler-Größe besonders spannend?


JF:
La Monte Young hat sich seit Ende der 50er Jahre primär mit drones, also lang gehaltenen Tönen, beschäftigt.  Wir haben mit Nelly Boyd und Charles Curtis vor vier Jahren seine Composition 1960 #7 bei katarakt aufgeführt. Da geht es lediglich darum, dass man eine Quinte (h und f#1) sehr lange „hält“ (Anweisung: „to be held for a long time“). Das Wichtige und Interessante dabei ist, dass diese Quinte dann „rein“ gestimmt ist, also im Oberton-Schwingungs-Verhältnis von 2:3. Ansonsten gibt es sehr deutlich wahrnehmbare Schwebungen. Stimmt man die Quinte hingegen exakt, dann entstehen sehr viele Töne, die wir (die MusikerInnen) überhaupt nicht spielen, sondern die raum-akustische Phänomene sind. Außerdem entstehen sie nicht sofort, sondern erst im Laufe der Zeit. „Tuning is a function of time“ sagt La Monte – das betrifft hier beide, MusikerInnen und ZuhörerInnen, gleichermaßen, die Reise – das Hörerlebnis ist für beide Gruppen sehr ähnlich. Das Cellostück geht noch eine Stufe weiter. Es ist 3-4 Stunden lang und Charles Curtis spielt live Cello zu vorproduzierten Cello-drones. Meiner Meinung nach neben Niblock und Kaul ein absolutes Highlight des Festivals.

Robert Engelbrecht (RE):
Es ist eines seiner jüngsten Stücke, und da kommt vieles aus seinem Schaffen zusammen: statische Drone-Passagen genauso wie melodische Teile, alles in einer speziellen reinen Stimmung mit teilweise sehr kleinen Intervallen, die erstmal etwas fremdartig, 'orientalisch' wirkt. Das Stück ist eigentlich ein Ableger seines Well-Tuned Piano, bzw. es bewegt sich in einem harmonischen Feld aus diesem Stück und erforscht das weiter. Als Hörer wie Spieler braucht man die Zeit, um da reinzukommen und die ganzen Obertonbeziehungen wahrzunehmen. Insofern ähnelt es formal auch einem indischen Raga, was nicht verwundert, denn La Monte hat ja ganz lange indischen Gesang auf traditionelle Weise bei Pandit Pran Nath studiert, was ihn sehr stark beeinflusst hat. Genauso hat er das Stück Charles Curtis beigebracht, der es als einziger spielen kann und darf, nämlich durch vorsingen(!). Es gibt keine Partitur oder Noten. Form und Struktur sind festgelegt, ebenso wie melodische Motive usw., aber jede Aufführung wird neu improvisiert. Zusammen mit der Lichtinstallation von Marian Zazeela ist das schon ein besonderes Erlebnis. Allgemein beeindruckend bei La Monte Young ist die Konsequenz und Unbeirrbarkeit, mit der er seine künstlerischen Ideen verfolgt und sich nur darauf konzentriert. Ich finde das faszinierend und inspirierend. Und seine Musik ist von einer besonderen Schönheit.



Frage:
Der norddeutsche Künstler Matthias Kaul ist dieses Jahr der composer-in-residence bei klub katarakt. Im Programm wird u.a. ein bizarres Musiktheater angekündigt. Was wird das Publikum erwarten?


JF:
Das ist eine gute Frage. Wir wollten unbedingt etwas mit und von Matthias machen und er wollte sehr gern Relax machen. Das Stück ist eine Art „installatives“ Theater und es ist deswegen recht aufwendig, weil es neben den Musikern diverse Kühlschränke, eine Tiefkühltruhe, eine Tontopfpresse, mehrere Auquarien, Mausefallen, PingPong-Bälle und und und als musikalisches Material bzw. Instrumente zum Einsatz bringt. Wir sind selber sehr gespannt, was dabei entsteht.

RE:
Es gehört ja auch ein bisschen zum Festival, dass wir nicht alles voher kennen können – und auch nicht müssen, sonst gäbe es ja keine Uraufführungen! Unser Wunsch war es, Matthias als Komponist und das Ensemble L’ART POUR L’ART auf dem Festival zu präsentieren. Dann hat er übernommen (lacht freudig). Wir lassen den Künstlern gerne freie Hand, die sollen sich ja auch wohlfühlen. So wie letztes Mal zeitkratzer, die dann selber die Idee mit dem Marathonkonzert hatten.



Frage:
klub katarakt findet seit vielen Jahren auf Kampnagel in Hamburg statt. Was haben die Spielstätte und das Festivalformat gemeinsam?


JF:
klub katarakt war bereits Ende der 90er Jahre und Anfang der 2000er zu Gast auf Kampnagel, damals war die kmh noch ganz leer, ohne Bühne und Abhängung, Lichtanlage etc. Dort haben wir dann alte und neue Kompositionen im Raum verteilt gespielt. Visuelle Arbeiten wurden an die Decke projeziert. Und die Veranstaltung dauerte ca 3-4 Stunden. Also schon vor 15 Jahren haben uns diese Räume zu einer Art Konzert-Installation inspiriert.

RE:
Heute bespielen wir nicht nur die kmh, sondern auch die beiden Nachbarhallen, und das hatte definitiv Auswirkungen auf unser Denken. Denn nun konzipieren wir einzelne Konzerte auch gerne als Wandelkonzert durch alle drei Hallen, sei es, dass in jedem Raum etwas anderes stattfindet und das möglicherweise auch gleichzeitig, oder sei es, dass in allen drei Hallen ein Stück läuft, also auch alle Hallen zusammen, aber eine Stück, das speziell für diese Raumsituation komponiert wurde.

JF:
Letzteres wird diesmal u.a. zur Eröffnung geschehen. Wir ehren am 15.1.2014 Phill Niblock zum 80. Geburtstag. Da gibt es auch zu Anfang einzelne Stück in jeder Halle nacheinander. Aber dann gibt es ein neues Stück von Phill, das er für katarakt als Auftrag geschrieben hat, in dem drei Ensembles auf drei Hallen verteilt in allen drei Hallen gleichzeitig spielen. Da muss man sich als ZuhörerIn bewegen, denn das Stück kann nur im Gehen erfahren werden, weil es überall anders klingen wird. Das können wir nur auf Kampnagel so realisieren und das hat auch ein paar Jahre gedauert, das zu erkennen und auszunutzen.

RE:
Dank an dieser Stelle an Amelie Deuflhard, dass sie uns eingeladen hat, klub katarakt dort zu machen. Und natürlich an das Technikteam ohne die das auch nicht realisierbar wäre!



Frage:
Das diesjährige Metathema von klub katarakt lautet "Antipoden" und die vier Festival-Tage teilen sich in die vier Teile "Nord", "Ost", "Süd", "West". Warum ist die internationale Ausrichtung bei klub katarakt so wichtig?


RE:
Das Festival hat als Forum für die lokale Szene angefangen, aber man lebt ja nicht mit Scheuklappen, es gibt auch außerhalb Hamburgs gute Musik (schmunzelt) und viele Künstler, die uns besonders interessiert haben, kommen eben z. B. aus den USA und es war uns ein Anliegen, die auch mal hier zu präsentieren. Kunst ist eben international.
 
JF:
Witzig: „Süd“ gibt es ja gerade nicht. Der vierte Abend ist die Lange Nacht. Naja, wir haben außerhalb Hamburgs manchmal mehr Aufmerksamkeit als hier. Für 2014 kommen jetzt z.B. Kartenbestellungen für La Monte aus den Niederlanden, England usw. Wir versuchen halt im Rahmen unserer eher bescheidenen Möglichkeiten, ein Programm zu machen mit KomponistInnen, MusikerInnen und KünstlerInnen, das zum großen Teil Musik präsentiert, die es sonst kaum zu hören gibt in Hamburg. Es kommt also zuerst immer auf die Musik bzw. den Film oder das Werk, den Komponisten an sich an, danach schauen wir, ob wir das überhaupt realisieren können. Es stimmt aber, dass das Festival in den letzten Jahren gewachsen ist. Diesmal konnten wir KünstlerInnen aus den USA, halb Europa und zum ersten Mal auch Japan einladen. Wie gesagt, eine internationale Ausrichtung hängt natürlich immer vom Budget ab und da ist es Hamburg grundsätzlich erstmal schwer als Festival für neue, experimentelle Musik Fuß zu fassen.



Frage:
Am letzten Festivaltag erwartet uns die "Lange Nacht" mit neuesten Arbeiten der hiesigen Hamburger Szene und internationaler Gäste. Worauf freut ihr Euch besonders?


JF:
Ehrlich gesagt auf alles, auf das Ganze. Die Lange Nacht ist aus den Einzelkonzerten unserer Konzertreihen vor Festivalzeiten erwachsen. Damals schon haben wir sehr gern lange Veranstaltungen gemacht, bevorzugt in Clubs und Off-Locations, jedenfalls nicht in einem Konzerthaus. Wir wollten auch prinzipiell keine Neue-Musik-Konzerte veranstalten, sondern Djs, Bands, Installationen, Videos etc mit hineinnehmen in diesen „Strom“ (=katarakt) von Klang. Und so ist die Lange Nacht: hauptsächlich Leute von hier, sehr unterschiedliche Stile, sehr viele Uraufführungen und Improvisationen und als Abschluss dann Makino Takashi bzw. danach noch Sutsche, die schon 2013 das Festival durch die Nacht gelotst haben.

RE:
Es ist schön, dass wieder alte Bekannte dabei sind, aber auch neue Gesichter. Ich bin gespannt auf alles. Ich möchte da niemand besonders hervorheben. Die Lange Nacht hat immer eine eigene besondere Atmosphäre, zu der alle Beteiligten beitragen. Persönlich freue ich mich natürlich auf den Zeitpunkt, wenn hoffentlich alles gut über die Bühne gegangen ist und wir uns etwas entspannen und feiern können. Sutsche sind dafür ideal!

Alle Infos zu klub katarakt gibt es auf www.klubkatarakt.net oder www.fb.com/klub.katarakt
Tagesticket: 15,- Euro (erm. 8,-) Festivalpass: 30,- Euro (erm. 15,-)
Ticket-Reservierung via 040 270 949-49 oder tickets@kampnagel.de

KLUB KATARAKT