Samstag, 28. April 2012

LEDIGENHAUS

Nebelhörner und Möwengeschrei sind zu hören, zu den Stoßzeiten dringen dumpfe Autogeräusche von der Ost-Weststraße einher, der Trompeter berieselt täglich früh und abends mit maritimer Melodie vom Michelturm. Sonst ist es ruhig in dieser Wohninsel in der südlichen Neustadt. Mittendrin befindet sich ein Haus, dessen Klingelschild neben dem Eingang für Verwirrung sorgt. Es sind 120 Tasten und bei näherem Hinschauen erkennt man, dass nur etwa die Hälfte der Schilder eine Anschrift haben.

 



Das Haus ist der Teil eines Blockes, welcher nach dem Prinzip der Hamburger Burg von den Architekten Heinrich Wilhelm Behrens und Ernst Vicenz geplant und 1912 fertig gestellt wurde. Es war in einer Zeit, in der durch die Industrialisierung und Urbanisierung eine proletarische Wohnungsnot herrschte. Dies führte dazu, dass das Untermiet- und Einlogiererwesen in Großstädten weit verbreitet war. Insbesondere junge arbeitende Männer, die keine eigene Behausung hatten, mieteten sich bei Arbeiterfamilien für den Schlaf ein. Die Städte hatten hohes Interesse diesem Phänomen entgegenzuwirken. Neben Berlin, München, Stuttgart oder Duisburg, unterstützte auch die Stadt Hamburg die Errichtung so genannter Ledigenhäuser. In der südlichen Neustadt gelegenen Rehhoffstraße wurden auf vier Geschossen 120 Zimmer mit einheitlichem Mobiliar und Größe von 8 m² gebaut. Küchen und Sanitäranlagen wurden für die kollektive Nutzung konzipiert.

 


 

Die sich im Erdgeschoss befindende Gaststätte war nicht nur ein Ort des sich Austauschens unter den Bewohnern sondern auch Treffpunkt für die Nachbarschaft. Durch die Nähe zum Hafen wurde das Haus in den letzten Jahrzehnten meist von Seemännern und Hafenarbeitern bewohnt.
Nach zahlreichen wechselnden Trägerschaften wurde das Ledigenhaus 2009 von einem dänischen Investor aufgekauft. Das Haus wurde zum Spekulationsobjekt und die Bewohner bangen um dessen Zukunft. Der ehemals angebotene Service, wie die feste Institution eines Pförtners, Wäscheservice oder Reinigung, wurde nun endgültig auf das Minimum reduziert, darüber hinaus wäre eine Renovierung dringend nötig.

Die Geschehnisse auf dem Hamburger Wohnungsmarkt zeigen zahlreiche Bespiele von Verdrängung bestehender Milieus aus dem Innenstadtbereich auf. Ein Grund liegt in der seit Jahren rasant angestiegenen Privatisierung von Wohnraum. Ob das, seitens der Stadt eingesetzte Instrument einer “sozialen Erhaltungsverordnung” dem Trend entgegen wirken kann, ist fraglich.

Im Ledigenhaus in der Rehhoffstraße hat sich 2011 eine Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus Experten unterschiedlicher Bereiche, den Bewohnern und Nachbarn zusammengetan, um eine soziale und langfristige Lösung für das Objekt und seine Bewohner zu erarbeiten. Diese sieht von einer radikalen Grundsanierung bzw. einem strukturverändernden baulichen Eingriff zunächst ab. Der historische, gesellschaftliche und kulturelle Stellenwert des Ledigenhauses soll in diesem Prozess berücksichtigt werden. Die Bewahrung, aber auch Reform dieser eigentlich zukunfsweisenden Form von Wohngemeinschaft, stellt dabei ein zentrales Anliegen dar.

Im Moment ist das Haus bis auf die Hälfte unbewohnt. Wer weiß, vielleicht kann sich ja das Ledigenheim in der Rehhoffstraße, 100 Jahre nach seiner Erbauung, aus der Bevölkerung und der Bewohnerschaft heraus selbst neu erfinden? Das Klingelschild wird es zeigen.

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